WILDI LECKT BLUT

Von einem der auszog die Ukulele zu spielen....

Wildi leckt Blut

Winter 1978. Ich besuche gerade die Mäschi-Brüder, Buzz, Res und Netz in Büren an der Aare. Die Punk-Rock-Band heisst SOZZ. Am Wochenende ist ein Konzert geplant. Marco Repi Repetto steigt als Drummer aus, und so muss ich seinen Part übernehmen. Keinen kümmert es, dass ich noch nie ein Schlagzeug von innen gesehen habe.

21.00 Uhr in der Mehrzweckhalle in Ostermundigen: One two three four, wir legen los.

21.03 Uhr in der Mehrzweckhalle in Ostermundigen: Ich liege bewusstlos hinter dem umgekippten Schlagzeug. Das Konzert ist vorbei.

Zwei Tage später erwache ich in der Wohnung unseres Groupies. Ich mache mich auf den Weg nach Büren an der Aare. Bekleidet mit hautengen Leoparden-Leggings, einem ärmellosen T-Shirt und zerlöcherten Converse-Schuhen. Es ist ein saukalter Winter. Im Zug und Bus schauen mich die Leute an als käme ich von einem anderen Planeten. Eigentlich gefällt mir das ganz gut. Ich lecke Blut.

Spätsommer 2019. André Tschan fragt mich an, ob ich am «Fünften antikantonalen Punk Festival» mit meiner Ukulele solo auftreten will. Wie immer überlege ich mir nichts und sage zu. Oooops, ich muss mir ein Repertoire zulegen und vielleicht sogar üben.

Am 21. September findet das Festival in der vollbesetzten Bar des ehemaligen Hotels «Rothaus» an der Zürcher Langstrasse statt.

Es spielen sechs Bands und drei Solisten. Einer davon bin ich. Ich spiele zehn Cover-Songs von The Clash, Ramones, Talking Heads, Undertones, etc. Sogar ein Beatles Song ist dabei (Get Back). Den Leuten gefällt es. Ich lecke Blut.

Januar 2020. Ich erfahre, dass die UK Subs und Low4 im Sedel bei Luzern auftreten werden. Aus Jux schreibe ich Gössi, dass ich bei Bedarf gerne als Einheizer mit meiner Ukulele mitmachen würde. Gössi war am Festival in der Rothaus-Bar anwesend und lädt mich ein. Oooops, neues Repertoire einstudieren und dreimal üben.

8. Februar 2020. Um 19.00 Uhr treffe ich im Sedel ein. Die UK Subs sind grad an ihrem halbstündigen Sound-Check. Es ist laut, brutal laut. Dann sind Low4 ca. 10 Minuten am Checken und ich brauche grad 90 Sekunden für meinen Sound-Check. Wird schon gut.
Dann geht es in den ersten Stock zum Nachtessen. Ich denke, so eine verkochte Portion Tomatenspaghetti kriege ich schon runter. Überraschung! Was das Sedel-Team hier auftischt ist einfach grossartig. Salat, Hühnchen Stücke, Gemüse, Kartoffeln, himmlisch.

 

20.00 Uhr. Türöffnung, der DJ Werner Wück legt los. Der Saal füllt sich.

20.40 Uhr. Mein Point of no Retourn. Ich klettere auf den Barhocker auf der Bühne und schnalle meine Ukulele um. Auf mein Zeichen hin spielt der DJ «Rockaway Beach» von den Ramones. Und jetzt heist es: One two three four: «Beat on the Brat” und weitere acht Ramones-Covers. Ich schaffe die neun Songs in 12 Minuten. Ich habe noch etwas Zeit und spiele als Zugabe «You can’t put your Arms around a Memory» von Johnny Thunders.

Applaus, Applaus. Ich lecke Blut.

 

21.00 Uhr. Low4 legen mit ihrem Song, der gleich heisst wie die Band, los.

Bergi der Sänger in seinem legendären silbernen Lederimitations-Jäckchen.Beim zweiten Song zieht er das Jäckchen aus und zum Vorschein kommt ein knallgrüner, langhaariger Rasenteppich-Flokati-Pullover. Er passt wunderbar zum Devo-Song «Mongoloid». Low4 machen wirklich Spass. Was für eine Band!

 

21.45 Uhr. Uk Subs. Charlie Harper steht am Bühnenrand. Die eine Hand am Mikrofon-Ständer, die andere an einer Bierflasche. Und es geht los. So eine Wucht kann man gar nicht mit Worten beschreiben. Ah doch, sie haben die «Bühnen-Show» geändert. Alvin, der Bassist steht jetzt auf der linken Seite und Stephen, der Gitarrist ist rechts platziert. Eine Show brauchen die UK Subs ja gar nicht. Die sind so knallhart und geradeaus, da brauchts nicht mehr. Das war wieder einmal mehr ein grandioser Gig.

Auf meine Frage: «Wie schafft ihr es 250 Shows pro Jahr zu spielen», antwortet mir Charlie: «Das war bis Ende 2019 der Fall. Jetzt leide ich unter Alters-Diabetes und Arthrose. Jetzt treten wir kürzer und spielen nur noch 120 Shows pro Jahr». Und das sagt mir ein 76-jähriger Mann. Hut ab.

Nachtrag: Ich freue mich, wenn die Lokale wieder öffnen und Konzerte stattfinden können. Ich und meine Ukulele sind bereit. Oooops, ein neues Repertoire zusammenstellen. OK, es steht schon. Es werden zehn Covers von Johnny Thunders sein. Und als Zugabe etwas ganz Besonderes. Es ist ein Geheimnis. Nur so viel: Ich singe ein Duett mit einer Dame, die Ende der 1970er Jahren die Schweizer Punk-Szene aufgemischt hat.

Zweiter Nachtrag: Bis jetzt spiele ich ausschliesslich Covers. Die ersten fünf eigenen Songs sind geschrieben. Sie dauern genau drei Minuten und 45 Sekunden; alle fünf aneinandergereiht. Also, etwas Geduld, die werden schon noch aufgeführt. Ich lecke Blut.

9.5.2020

Wildi